Donnerstag, 20. Januar 2011

Von guter Laune, Jeepsafaris und Babyziegen

Nachdem wir im letzten Blogeintrag über allerlei Ernstes und Nervenaufreibendes geschrieben haben, wollen wir nun mal wieder über ein paar ziemlich süße, überraschende und schöne Dinge berichten.
Beginnen wir am dritten Januar – nachdem Silvester für uns absolut unspektakulär verlief (wir feierten nämlich um genau zu sein... überhaupt nicht) und nicht weiter ausgeführt werden braucht – mit Katjas Geburtstag:
Vereinzelt trudelten Glückwünsche schon am 2. Januar ein – In Indien soll es nämlich Glück bringen, wenn man im Voraus gratuliert (Katja wollte sie aber partout nicht annehmen weil es bei uns ja eher Pech bedeutet) und am morgen des 3-ten Januar waren wir gemeinsam mit Sankar und Duraisamy unterwegs und hatten daher schon mitbekommen, dass eine – uns doch seehr spontan auf die Beine gestellt vorkommende – Überraschungsparty geplant wurde... So wurden (in unserem Beisein^^) Kuchen und Girlanden gekauft und alles eilig ins Office geschafft.
Am späten Nachmittag wurde es dann plötzlich noch geheimnisvoller. Sämtliche Kinder waren wie vom Erdboden verschluckt und wir mutmaßten, dass die Vorbereitungen für eben diese Party am Laufen seien, was uns aber niemand bestätigen wollte.
Abends wurde das Geheimnis schliesslich gelüftet und die Geburtstagsparty mit dem Krönen des Geburtstagskindes eröffnet. Selbstverstaendlich durfte Katja dann auch den wunderbar ultrasüßen Kuchen schneiden, sie wurde gefüttert und durfte füttern, es wurde gesungen (sogar auf deutsch!!) und Reden gehalten.
Alle Kinder hatten ein kleines Geschenk, dass sie irgendwo aus ihren Habseligkeiten hervorgekramt hatten – mal war es eine kaputte Brosche, mal ein kleines Foto... aber immer mit einem selbstgemalten Bild, ein paar Wünschen und einem strahlenden Lächeln auf den Lippen... es war herzzerreißend und die Geschenke waren viel schöner, als alles was man hätte sonst bekommen können!

Gegen Ende der Feier verließ der Staff den absolut wundervoll indisch geschmückten Raum und wir konnten nicht umhin ein bisschen Musik zu spielen, wie wir das von zu Hause gewohnt sind. Nach ein paar heimischen Partyliedern (Macarena, Las Ketchup, usw.) kramten wir die tamilische Filmmusik hervor, die wir bereits besaßen.
Und dann ging’s los ;-)
Die Musik wurde aufgedreht und alle Kinder (inklusive uns – an manchen Stellen) fingen an, wie wild zu singen und zu tanzen - den ganzen Abend lang.

Insgesamt war es eine sehr schöne Feier und wirklich mal ein Erlebnis, das neue Lebensjahr so zu beginnen :-)

Dear Seetha and Sankar, dear Selva, dear Staff and dear wonderful girls of Abhaya. My birthday party was a great experience for me and I am really happy I could celebrate it with you. Thank you so much for your effort and for showing me how different and special a birthday celebration can be :-)
I’m glad we can share this memory!
Katja

Die Tage danach waren wiederum vollgestopft mit Arbeit, Casestudy schreiben, Fahrradunterricht geben (jaa.. letztendlich haben wir damit angefangen – und hatten auch direkt blaue Füße und eklige Klettdisteldinger an der Hose und in der Haut, aber Spaß macht es trotzdem sehr :-)), unsere Reise zu planen, eine Broschüre zu übersetzen ,etc etc.
Zusätzlich arbeiteten wir mit den Kindern am Projekt für eine Schule in Deutschland (die ‚Schule an der Gartenstadt’ aber die Kinder nennen sie ‚Hamsbörg school’) – von der wir an Weihnachten diese wunderbaren Handpuppen bekommen hatten – bei dem es darum ging, kreativ Unterschiede zwischen den beiden Ländern zu erarbeiten. Unter einer Fülle an Themen wurde das Thema ‚Tiere’ ausgewählt und so entwickelten wir gemeinsam mit den Mädchen Konzepte und zeichneten alle möglichen indischen Tiere.
Gleichzeitig begannen wir unser letztes großes Projekt mit den Kindern:
Soft Toy making – ein Kuscheltier für jedes Mädchen.
Dabei ging es uns vor allem um zwei Sachen - erstens sollte es leicht zu basteln sein, sodass jedes Kind in der Lage sein würde, es selbst zu machen und zweitens hatten wir eine Idee, bei der eine Geschichte dahinter steht – ein kleines „Ich bin Ich“ (Es geht um ein Tier, das einfach keinem anderen gleicht und erst nachdem es versucht zu sein, wie alle anderen, versteht, dass es das Beste ist, einfach es selbst zu sein – genaueres bei google ;-)) Zunächst durfte jedes Kind Stoffe in verschiedenen Farben auswählen – und dann ging es ans stopfen und nähen bis die Kinder müde wurden und wir beschlossen, das Projekt an einem anderen Tag weiterzuführen.

Der letzte wichtige Punkt dieses Blogeintrages ist das Wochenende vom 8./9.1., das wir bei einem Staff get together im ‚Dschungel’ verbrachten.
NMCT besitzt eine kleine Farm auf einem riesigen Grundstück das ca. anderthalb Stunden Fahrt vom Abhaya entfernt ist - dort werden Ayurvedische Medikamente hergestellt, Chillies und Bananen kultiviert, in einem kleinen Haus etwas abseits befindet sich das ADI office (Tribal – Project) und mal ganz abgesehen davon ist dieser Ort einfach zauberhaft! So waren wir einfach nur begeistert, als wir morgens dort ankamen: Unglaublich grün und voller Palmen erschien uns dieser Platz, ein Fluß am Rande des Grundstücks, überall hing bunte Wäsche zum Trocknen in der Sonne, das kleine Wohnhaus.. es war einfach wunderschön.
- Und dann mussten wir sofort wieder gehen, weil wir noch zwei Case Studies von Kindern aus dem Tribalprojekt sammeln wollten, was sich als recht aufregend gestaltete, da uns erlaubt wurde auf dem Dach eines Jeeps zum Dorf zu fahren. Es war abenteuerlich, holprig, etwas unbequem und man musste sich höllisch vor zu tief hängenden Bäumen in Acht nehmen („AAAst!“). Die Landschaft war exotisch: knubbelige Kakteenbäume wechselten sich ab mit Palmen und Steppe und wir konnten nicht umhin, hinter jedem Baum einen Tiger oder einen Elefanten zu vermuten. Reichlich durchgeschüttelt kamen wir im Dorf an und wurden mit Tribalmusik und Tanz, bei dem wir uns gleich mit einreihten, begrüßt.Anschliessend sassen wir in einem der vielen kleinen Häuschen, um eine weitere Lebensgeschichte eines unserer Kinder zu hören und waren etwas schockiert als wir erfuhren, dass in diesem Dorf alle (!) miteinander verwandt sind und auch nur untereinander heirateten (nachdem wir das wussten, fiel uns die Ähnlichkeit unter den Dorfbewohnern auch auf). Während wir später noch niedliche Ziegenbabies und Hühnerküken betrachteten feierte NMCT mit den Uhreinwohnern Pongal (mehr zu diesem traditionellen Fest in unserem nächsten Blogeintrag) und verteilte Saris an die Frauen und Lungis an die Männer des Dorfes (insgesamt ueber 1000 Saris!). Es war ein schönes Fest, dem wir dann gegen Ende doch noch beiwohnen konnten.
Später ging es dann zurück zur Farm, auf der wir lauthals von unseren Mädchen begrüßt wurden: „Sister, you come bathing???“
Denn das Baden im Fluss war für die Kinder die Hauptattraktion des Wochenendes. Und so half, nachdem wir die Erlaubnis bekommen hatten, alles Ermahnen zur Vorsicht nicht: mit freudigem Geschrei stürtzten sich die Mädchen in voller Kleidung in den Fluss und planschten was das Zeug hielt. Es war eine Freude die ansteckte und so waren auch wir nach wenigen Minuten klatschnass und standen lachend im kalten Flusswasser, spielten, bauten Staudämme und fast alle Mädchen wollten mal ‚schwimmen’ (natürlich von uns am Bauch gesichert ;-)). Als wir schließlich gehen mussten, weil wir noch ein Mädchen zu Hause besuchen wollten, waren sie gar nicht mehr aus dem Wasser zu kriegen..
Nach der ganzen Aufregung des Tages waren wir dann aber abends hundemüde und fielen ‚auf unsere Matten’. Eng aneinander gekuschelt schliefen die Mädchen, wir und ein paar weibliche Staffmitglieder auf dem Boden des Tribal-office ein.
Es war nicht die ruhigste Nacht unseres Lebens (Haare, Hände und Füße im Gesicht und in den Rippen, andauernd musste jemand auf die Toilette und es war abwechselnd zu warm und zu kalt... ABER wir haben es so gewollt ;-))
Zerzaust und gähnend wachten wir am nächsten Morgen auf, die Kinder froren und wir waren noch müder als am Abend. Nach einem leckeren Frühstück, für das wir den Kohl mit der Machete zerhackten – kam auch die Motivation um den anstehenden Wettbewerb zu bestreiten, den Sankar, Seetha Selva und wir für die Mädchen und Tribalkinder planten.
Wir entwickelten Spiele (Querfeldeinrennen, Kokosnussweitwurf, mit saemtlichen Dingen aus der Umgebung Schönes bauen) und eine Schnitzeljagd, die die Kinder rennend hinter sich brachten, sodass sie in 10 Minuten fertig waren.
Der ganze Wettbewerb war unverwechselbar indisch – sehr spontan aber auch lustig und voller schöner Momente. Am Ende gab es für fast jeden einen kleinen Pokal und alle waren glücklich.
Und wir beide waren geschafft und - wider erwarten – ueberhaupt nicht erholt. Trotzdem war es eine tolle Erfahrung und wir haben es sehr genossen, mal ein ganzes Wochenende abseits vom Abhaya mit den Kindern zusammen zu verbringen.

Again a big thank you to Seetha and Sankar for creating such a great opportunity for us to spent so much time with the staff, the tribals and our lovely girls. It was a nice weekend and though we were really tired when we returned to the Abhaya we enjoyed the time a lot

Kurz darauf folgte unser großartiger Urlaub in Ooty, von dem es aber so viel zu berichten gibt, dass er in diesem Blogeintrag einfach keinen Platz mehr findet... Also werdet ihr sehr bald wieder von uns hören ;-)
Liebe Grüße in das bald wieder verschneite?! Deutschland – hier wird’s langsam wieder richtig warm :-D

Freitag, 7. Januar 2011

Der „Alltag“ hat uns wieder - schockierende Erlebnisse

Nachdem wir unser Weihnachten so feierlich und stimmungsvoll gefeiert haben, kommt hier nun wieder ein Eintrag über das „normale Alltagsleben“...
Neben den Tailoring classes, die wir immernoch mit Freuden besuchen (wir haben unsere erste Hose genäht :-D), dem Englisch Unterricht, der in letzter Zeit wegen den exams öfter mal nicht stattgefunden hat und einer Menge Zusatzarbeiten (wie NMCT-Blogediting und dem Übersetzen von Broschüren) hatten wir auch wieder ein paar field visits und andere Ereignisse, die wir gerne mit euch teilen wollen.
So besuchten wir einige VIMUKTHA-Mitglieder (VIMUKTHA ist eine Frauen- Selbsthilfegruppe) in einem kleinen Teil von Coimbatore.
Diese Frauen, die meist keinen Mann mehr (aber oft noch Kinder) haben und in sehr ärmlichen Verhältnissen leben, haben sich durch NMCT zu Selbsthilfegruppen zusammengeschlossen und treffen sich einmal im Monat, um über ihr Leben, ihre Arbeit und Allgemeines zu reden und um sich gegenseitig zu unterstützen und zu helfen. Auch finanzielle Dinge werden besprochen und gemeinsam geregelt, so konnte sich ein großer Anteil der Mitglieder dieser Self-Help-Groups nur durch Mikrokredite (wer’s nicht weiß, einfach googlen ;-)) ein eigenes Dasein aufbauen, viele haben kleine „Pettyshops“ oder verkaufen Blumengirlanden, Saristoffe und Bangles an Personen in ihrem Umfeld.

Während unserem Besuch konnten wir leider kein solches Treffen, bei dem meistens auch eine Frau den anderen eine ihrer Fähigkeiten vermittelt (zB Blumengirlanden binden), erleben, trotzdem waren die Begegnungen mit den verschiedenen Mitgliedern sehr interessant.
Wir trafen Frauen, die uns wunderschönen Goldschmuck zeigten, standen auf Hausdächern, auf denen in Palmblatthütten Pilze gezüchtet wurden, saßen in Hinterzimmern und aßen Idli (Südindische Spezialität) und bekamen Süßigkeiten und Cola in Pettyshops.
Insgesamt war es ein toller field visit, der zum Ende hin noch von einer Schar Kinder gekrönt wurde, die nicht nur hunderttausend Fotos machen, sondern auch mal alle unsere Arme anfassen wollten, damit vielleicht mit etwas Glück ein wenig von der hellen Hautfarbe an ihren Händen hängenblieb.
(Etwas erschreckend ist dieser Hautfarbenwunsch ja schon, aber wenn man mal drüber nachdenkt, warum legt sich unsereins denn den ganzen Sommer in die Sonne?!)

Der zweite field visit war vorallem eins: schockierend!
Wieder einmal besuchten wir das TAI-Project, diesmal allerdings nicht direkt, viel mehr ging es in ein governmental hospital (staatliches Krankenhaus), damit wir uns dort mit einem Arzt unterhalten konnten, der viele Mitglieder des TAI-Projects behandelt.
Schock. Das Krankenhaus war absolut gru-se-lig. Wir hatten ja schon damals beim privaten Krankenhaus das leise Gefühl, dass deutsche (staatliche) Krankenhäuser nochmal etwas ganz anderes sind. Aber während wir in dem privaten Krankenhaus nicht wirklich beunruhigt waren und auch nicht das Gefühl hatten, es könne irgendetwas schief laufen, hatten wir diesmal einen komplett anderen Eindruck.
- Man stelle sich vor:
Ein altes Gebäude, schon von außen schmutzig und mit abgeblätterter Farbe, rundherum unglaublich viele Menschen verstreut, die wohl alle auf Behandlungen warten.
Die Eingangshalle grau und muffig, ohne Fenster, wiederum viele Menschen überall.
Die Treppen abgelaufen, die Wände angelaufen, im ersten Stock finden wir eine Baustelle mit Sandhaufen, abmontierten Waschbecken die auf dem Boden rumliegen, allerhand Baumaterialien, Dreck, Staub.. aber das Stockwerk ist nicht geschlossen.
Der zweite Stock, in dem wir den Doktor treffen sollen, ist wieder voller Menschen. - Man sagte uns, ca 5.000 Menschen würden hier jeden Tag behandelt.
Wieder sind die Wände schmutzig, es gibt kaum hygienische Maßnahmen.
Beim Labor steht die Tür offen und man sieht einen Mann in Hemd und Jeans, der gerade Abfälle in einen gewöhnlichen Plastikmülleimer wirft.
... unvorstellbar.Als wir den Doktor trafen, erzählte uns dieser, dass sie endlich den Antrag auf ein paar Gegenstände genehmigt bekommen hatten – die Gegenstände waren Dinge wie besipielsweise eine Taschenlampe (!).
Wir fragten, was sie denn vorher gemacht hätten. - Darauf die nüchterne Antwort: „Man bringt eben seine eigenen Sachen von zuhause mit.“
So ging es dann auch munter weiter. Während wir mit der nächsten Arztin redeten, begann der gesamte Raum nach Urin zu stinken und uns fiel auf, dass die Toiletten auf der gegenüberliegenden Seite des Ganges waren.
Die Frau erzählte uns, dass ihr Job eher hart wäre und es an der Tagesordnung sei, dass man Tuberkulose bekomme, denn es übertrage sich ja durch die Luft (Reaktion von Katja und Charlotte: Schal an den Mund, verzweifelte Blicke) – als wir aus diesem Raum herauskamen und an der nächsten Tür auch noch das Schild „Urban Leprosy Centre“ zu lesen war, hatten wir beide endgueltig das Gefühl, das Krankenhaus fluchtartig verlassen zu müssen.
Trotz all diesen Schilderungen (und nein, wir übertreiben wirklich nicht) wird in diesen Krankenhäusern von denen es alleine in Coimbatore gefühlte hunderttausend gibt, vielen Menschen geholfen, die Ärzte sind freundlich und man hat das Gefühl, sie tun ihr Möglichstes um allen zu helfen.
- Trotzdem waren wir froh, als wir das Krankenhaus hinter uns gelassen hatten.

Fuer die naechsten Tage sollte dies jedoch nicht unser einziger schockierender Besuch bleiben, da wir uns fuer die Feiertage vorgenommen hatten, die Kinder daheim zu besuchen um mehr ueber ihre Vergangeheit zu erfahren und diese in einer Fallstudie zu dokumentieren.
Auf gut deutsch: es lag eine Heidenarbeit vor uns.
Jeden Tag fuhren wir stundelang im Bus ueber staubige Landstrassen, stellten zahlreiche Fragen und waren mehr als einmal emotional am Ende, was meistens Unverstaendnis bei unseren Begleitern hervorrief. Alle Geschichten die wir hoerten, waren gerpaegt von Armut, viele von unheilbaren Krankheiten oder familiaeren Konflikten, die uns die Haare zu Berge stehen liessen. In kleinen, vollgestopften (aber trotzdem furchtbar kahlen) Hauesern sassen wir auf den einzigen vorhandenen Stuehlen – auf denen wir zu sitzen aufgefordert wurden – und haetten am liebsten keinen Keks und keinen Tropfen Tee von den Familien angenommen, die sich doch selber so oft keine regelmaessigen Mahlzeiten leisten konnten. Wir erlebten ein Leben, dass dem unseren so fremd war, wie es nur sein konnte. Nur einmal verschmolzen die beiden Welten und dieses Ereignis wurde für uns das am schwersten zu veraberteinde.

...Wir saßen auf dem Boden und hatten gerade wieder eine Reihe von Fragen hinter uns, welche zu stellen uns unglaublich schwer fiel, da ueber die Vergangenheit zu reden den Menschen so weh tat. Der Vater hatte Frau und Kinder brutal geschlagen und nachdem herausgekommen war, dass er HIV – positiv war, wurde es nur noch schlimmer. Nach einer Reihe heftiger Streits verließ er seine Familie schließlich fuer eine andere Frau. Auf sich alleine gestellt waren die Mutter und ihre beiden Soehne – von denen einer ebenfalls HIV-positiv ist – gezwungen in einer der Textilfabriken in Tirupur zu arbeiten, die Soehne als Schneider, die Mutter als Packerin fuer die zahlreichen Kleidungsstuecke, die Tag fuer Tag vom Band gingen, um in den Westen verschifft zu werden. Hierzu sollte man wissen, dass nahezu 80 % aller Kleidungsstuecke auf denen ‚Made in India“ steht, aus Tirupur kommen. Also auch die, die wir in unseren Lieblingsgeschäften erstehen und in Versandhaeusern bestellen. Dass die Kaufhaeuser ihre Textilfabriken nicht um die Ecke haben und dort meist Standards herrschen, die weit unter dem liegen was wir als gerecht bezeichnen, war uns bekannt. Wir hatten nur nie erlebt, welche Bedeutung dahinter steckte...
Zurueck zur Familie. Die Mutter lobte stolz ihren Zweitjuengsten (14 Jahre), er braechte das Haupteinkommen mit nach Hause, seit der Vater die Familie verlassen hatte. Der Aelteste (15) war zwar ebenfalls Schneider, aber zu geschwaecht von den Nebeneffekten seiner HIV-Infektion, um regelmaessig zur Fabrik zu gehen. So schneiderte er einiges zuhause, unter anderem auch die Waesche, die er uns stolz in einem grossen Eimer praesentierte.
Schmaechtig stand der Junge vor uns, deutlich gekennzeichnet von seiner Krankheit, mit duennen Gliedern und mueden Augen...
In dem Eimer befand sich fertig genaehte Unterwäsche. Die Mutter fischte ein Stueck hervor, alle lachten, das ganze sollte wohl ein Witz sein. Für uns war es furchtbar. Zu sehen, wo das was man tagtäglich am Körper trägt eigentlich mal herkam, durch welche Hände es ging, bevor man es im Laden kaufte... das alles nahm uns den Atem.
Um sicherzugehen, griffen wir in den Eimer und lasen das Schild.
„Bonprix“. Darunter ‚Made in India’ und der Preis in Euro. Da war sie, die Verbindung zwischen unserem zuhause – wo eine Vielzahl an Menschen genau wie wir ohne groß nachzudenken nach dem Billigsten greifen – auf der einen und den Menschen, die dieses Konzept bedienen und die Konsequenzen dafuer tragen muessen, auf der anderen Seite.
- So wie er. Der Junge, der stolz vor uns stand und auf unser Urteil wartete...
Es war eine unserer groeßten Herausforderungen, dem pruefenden Blick dieses Jungen standzuhalten, der sich kaum regelmäßiges Essen leisten kann und sehr wahrscheinlich nicht mal unser Alter erreichen wird, ein sorgloses Laecheln aufzusetzen und zu versichern, seine Arbeit sei fabelhaft.. Dass Menschen diese Kleidung zu einem grossen Teil kaufen, weil sie preiswert ist, behielten wir fuer uns.
Immer noch verzweifelt an unserem Laecheln festhaltend, dass uns nun doch zu entgleiten drohte, verließen wir diese Geschichte – und machten uns auf den Weg zu einer weiteren...

Sonntag, 2. Januar 2011

~ Indische Weihnacht ~

Ja, wir hatten doch ein Weihnachten!
Unser Weihnachten begann am Morgen des 18.12. mit dem Gedanken, dass der 24.12. ein absolut chaotischer Arbeitstag werden würde: den ganzen Tag über würden die Kinder abgeholt und wir würden mit unserer ersten Case Studies beginnen.. alles irgendwie stressig und so gar nicht weihnachtlich. Deshalb erklärten wir - wiedermal sehr kurzfristig und absolut spontan - den 18.12. zu unserem Weihnachtstag.
Wir fingen also direkt nach dem Frühstück mit den Vorbereitungen an, bastelten Schnee und Sternchengirlanden, packten die Geschenke ein, organisierten Kerzen, Kekse usw.
Die Kinder durften währenddessen natürlich nichts mitbekommen und so zogen wir uns geheimnisvoll in unser Zimmer zurück.Allerdings das Gefühl, dass an diesem Tag die Terrasse vor unserer Zimmertür häufiger als sonst zum Spielen genutzt wurde ;-)
Als die Vorbereitungen abgeschlossen waren, wurden die lieben kleinen Mädels dann einfach mal in ein Zimmer gesperrt, damit die Möglichkeit „unbedingt etwas in genau diesem Raum zu suchen“ erst gar nicht bestand! Wir brachten also all unsere vorbereiteten Weihnachtsdinge in den Studyroom, schmückten das Zimmer, kochten Weihnachtstee (Von Seetha aus Deutschland mitgebracht und soo weihnachtlich nach zuhause schmeckend :-)) und verteilten die „Plätzchen“ auf Teller, zündeten Kerzen an und hörten Weihnachtsmusik bis wir gegen fünf Uhr das Zimmer für die Mädchen ‚öffnen’ konnten. Mit gespannten Mienen schlichen sie um den Baum, den wir in die Mitte gestellt hatten, betrachteten ehrfurchtsvoll den geschmückten Raum und lauschten der so fremden Musik.Man hatte das Gefühl, die Weihnachtsstimmung, die wir von zuhause gewohnt sind, war sofort auf sie übergesprungen. Man konnte die Stille und Besinnlichkeit förmlich spüren – es war unglaublich.Als der Staff schließlich auch noch kam, konnten wir mit unserer Weihnachtsfeier beginnen.
Zuerst erzählten wir ihnen, warum wir dieses für uns so wichtige Fest mit ihnen teilen wollten, dass das Wort „bridge builder“ nun das erste Mal auch von unserer Seite eine wirkliche Bedeutung hatte und wir gerne auch einen Teil unserer Kultur nach Indien tragen wollten.
Wir erzählten die Weihnachtsgeschichte, alle bekamen Tee und Kekse und sangen Jingle Bells (einfach auf der Gitarre – und einfach für Inder ;-)), dann gab es Bescherung und die Freude war groß. Die 'Schule an der Gartenstadt' hatte Wichtelpuppen geschickt, die natürlich gleich über die zahlreichen Hände gestülpt werden mussten.
Zum Abschluss zeigten wir den Kindern den Film „Polarexpress“, der von einem magischen Zug handelt, der Kinder zum Nordpol und damit zum Weihnachtsmann bringt.
Nachdem der Film fertig, die Kekse aufgegessen und der Tee (hauptsächlich von uns ;-)) ausgetrunken war, herrschte eine so ungebändigte Freude, das wir es kaum glauben konnten.

Die Kinder standen mit strahlendem Lächeln und glitzernden Augen vor uns, konnten kaum etwas anderes sagen als „Thank you, thank you“ und wiederholten immer wieder, dass sie so etwas Schönes noch nie erlebt hatten.
Wir waren glücklich. Wir hatten nicht nur unser Weihnachtsgefühl nach Indien gebracht und es für alle greifbar gemacht, auch unsere persönliche Angst vor einem Weihnachten ohne das von uns so geliebte Weihnachtsgefühl hatten wir besiegt – und anscheinend war es tatsächlich für alle ein sehr schönes Fest gewesen, denn noch tagelang kamen Staffmitglieder zu uns und bedankten sich für unser Weihnachtsfest.

-> Für noch mehr weihnachtliche Stimmung könnt ihr dieses Fotoalbum betrachten:
Weihnachten =)